Geteilte Gewalten: Warum das neue Infektionsschutzgesetz die Diktatur verhindert und nicht erzeugt

Am 18. November steht im Bundestag in Berlin die Verabschiedung des neuen Infektionsschutzgesetzes auf der Tagesordnung. Dagegen laufen (Ver-)Querdenker und andere Feinde der Demokratie Sturm und rufen zu Demonstrationen und zum neuen Sturm auf den Reichstag auf. Der Tenor dabei lautet: Mit der Verabschiedung des Gesetzes würde nun vollends die Demokratie abgeschafft und eine Diktatur eingeläutet. Warum das Gegenteil davon wahr ist, soll nachfolgend kurz begründet werden. Im Hintergrund steht – mal wieder – die Gewaltenteilung. 

Die bisher in Deutschland verhängten Einschränkungen des öffentlichen Lebens zum Infektionsschutz wurden von der Exekutive in Form von Verordnungen verhängt. Das kann und darf die Regierung und Verwaltung aber nur in dem Maß und in dem Rahmen, wie Gesetze es ihr gestatten, denn die Gesetze werden vom Parlament diskutiert und beschlossen und nicht von der Regierung einfach so in Kraft gesetzt.

Die juristische Rechtfertigung der Maßnahmen bezog sich also auf das Infektionsschutzgesetz. Das ist zwar im März leicht angepasst worden, hat aber in seiner alten Grundstruktur keine solche Pandemie vorausgesehen. Entsprechend hat man sich bei den Verordnungen auf allgemeiner formulierte Passagen bezogen. Unter Juristen war es umstritten, in wieweit diese allgemeinen Formulierungen so weitreichende Einschränkungen überhaupt tragen. So gesehen ist eine gewisse Kritik an der nicht ausreichenden demokratischen Legitimierung der Maßnahmen durchaus berechtigt. Das waren z.B. auch die wesentlichen Gründe für Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen, bei den Beschlüssen zum Wellenbrecher-Lockdown einen thüringischen Sonderweg mit stärkerer Einbeziehung des Parlaments zu fordern. 

Es ist ja in der Tat gefährlich für die Demokratie, wenn sie zulässt, dass vage Formulierungen in einem Gesetz so weit ausgelegt werden können, dass damit Einschränkungen von Grundrechten zu begründen sind. 

Nun liegt eine überarbeitete und aktualisierte Fassung des Infektionsschutzgesetzes vor, wird diskutiert und soll im Parlament beschlossen werden. Darin wird u.a. im neuen §28a konkret aufgezählt, welche Maßnahmen zum Infektionsschutz ergriffen werden dürfen. Da ist all das dabei, was wir gegenwärtig aus der Praxis kennen – und Coronaleugner wütend macht. Das hat aus der Perspektive der Demokratie allerdings die wichtige Funktion, diese Liste zu begrenzen.* Dazu gehören auch klar definierte Bedingungen. Das Gesetz präzisiert im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität die möglichen Grundrechtseinschränkungen. Es werden (die bekannten) Schwellwerte beschrieben, ab denen Maßnahmen eingeleitet werden dürfen – was im Umkehrschluss natürlich auch beinhaltet, dass bei Unterschreitung dieser Werte die Maßnahmen nicht mehr angemessen sind. Damit erschwert das neue Infektionsschutzgesetz, dass möglicherweise eine künftige korrupte Regierung unter Verweis auf dieses Gesetz ganz andere und unangemessene Maßnahmen durchdrückt. 

Zugleich wird das Legitimationsproblem der Regierweise mit weitreichtenden Verordnungen entschärft, weil nun ordentlich das Parlament über diese Fragen berät und zu einem Beschluss kommt. Das Ergebnis ist dann gerade nicht eine Verordnung der Exekutive, sondern ein ordentlich demokratisch beschlossenes Gesetz der Legislative, unter Beteiligung aller im Bundestag vertretenen Kräfte, wie das in einer Demokratie sein soll. Natürlich gibt es noch kontroverse Diskussionen über diverse Details, ob die Fristen angemessen sind, ob die Parlamentsbeteiligung stark genug ist u.a.m. Dennoch ist der entscheidende Punkt, dass durch die Neufassung des Gesetzes die Kompetenzen der Exekutive geklärt werden und damit ein Missbrauch des Gesetzes zu sachfremden Einschränkungen verhindert wird.

Aus diesen Gründen dient das neue Infektionsschutzgesetz dem Erhalt und der Stabilität der Demokratie in Deutschland. Es führt gerade nicht deren Abschaffung, wie es Rechtsextreme und Verschwörungsideologen ihren Anhängern einreden wollen, sondern zu deren Sicherung. Darauf sollte in den Debatten deutlich hingewiesen werden. 

Harald Lamprecht, 15.11.2020


 

 

* Eine frühere Version dieses Artikels enthielt an dieser Stelle den Satz „Nur was im Gesetz steht, ist künftig möglich.“ Das ist nicht korrekt, denn die Aufzählung wird im vorgeschlagenen Gesetzentwurf mit „insbesondere auch“ eingeleitet und hat daher Beispielcharakter. Dennoch bleibt richtig, dass diese Beispiele eine Auslegungsrichtung vorgeben und sich daher aus dem neu gefassten Gesetz keine völlig anders gearteten sachfremden Einschränkungen begründen ließen. Zudem sind alle im neuen §28a genannten Maßnahmen daran geknüpft und darauf befristet, dass der Bundestag das Vorliegen einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ feststellt. Ohne diese Mitwirkung des Bundestages kann die Regierung diese Maßnahmen nicht verhängen.

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