Diskussion: Pro und Contra Blockaden von Naziaufmärschen

Ist es richtig, Naziaufmärsche zu blockieren? Diskutieren Sie mit.

Ist es richtig, eine angemeldete und genehmigte Demonstration von Neonazis zu blockieren? Um diese Frage wird derzeit heftig gestritten. Eine wichtige Rolle spielen bei der Einschätzung

  • 1) die Frage nach der Gefährlichkeit dieser Demonstrationen und
  • 2) grundsätzliche Überlegungen zum Charakter der Demokratie.

Einige in der Debatte zu hörende Argumente sind hier gesammelt und einander gegenübergestellt. Sie können sich mit Ihren Beiträgen an dieser Diskussion beteiligen.

A) PRO: Der Staat braucht engagierte Bürger

1.  Blockaden sind nötig

Rechtsextreme Aufmärsche sind gefährlich, weil sie die Szene nachhaltig stärken. Sie demonstrieren inneren Zusammenhalt und Überlegenheit. Die wesentliche Funktion nach innen zur Stärkung der Szene. Sie vermitteln auch neuen, noch ungefestigten Anhängern ein Gemeinschafts- und Stärkegefühl: „Wir sind wer, heute gehört uns die Straße, und morgen die ganze Welt. Sogar die Polizei des verhassten Systems muss uns dienen.“ Das funktioniert auch dann, wenn keiner hinsieht. Daher genügen symbolische Zeichen dagegen nicht. Welche einschüchternde Wirkung muss es auf die Opfer neonationalsozialistischer Gewalttaten haben, wenn sie ansehen müssen, wie die Täter gemeinschaftlich durch die Straßen marschieren und ihre Parolen brüllen? (Z.B. wurde bei einem rechtsextremen Aufmarsch in München am 21. 1. 2012 das Lied vom Rosaroten Panther als Solidaritätsbekundung zur NSU-Terrorzelle gespielt.) Rechtsextreme Strukturen richten sich gegen Grundwerte des Zusammenlebens und direkt auf die Zerstörung der Demokratie. Sie müssen daher von Anfang an überall und konsequent bekämpft werden. Damit darf man nicht warten, bis sie so stark sind, dass sie nicht mehr beherrscht werden können.

2. Der Staat darf es nicht selbst
Die Versammlungsfreiheit gilt im Grundsatz für alle Bürger. Das ist unabhängig von deren politischer Auffassung. Daher sind dem Staat sehr enge Grenzen gesetzt, wenn er Versammlungen und Aufzüge reglementieren oder verbieten will. Dies führt zu der Situation, dass der Staat nicht einfach selbst die rechtsextremen Aufzüge verbieten kann und das Problem damit aus der Welt schaffen. Könnte er dies, so wären wir näher an einer Diktatur, als uns das lieb sein kann, denn wer weiß, welche Regierung in naher oder ferner Zukunft welche politischen Auffassungen für nicht mehr duldenswert halten möchte.

3. Der Widerstand ist Aufgabe der Bürger, den sie nicht an den Staat delegieren können.
Eine ganz andere Position ist aber die der Bürger. Diese Unterschiedlichkeit der Rollen ist in der zurückliegenden Diskussion zu wenig beachtet worden. Die bürgerlichen Freiheitsrechte (wie auch die Versammlungsfreiheit) sind im Wesentlichen Abwehrrechte gegenüber dem Staat, um den notwendigen Freiraum für eine offene Meinungsbildung zu ermöglichen, von der die Demokratie lebt.
Das bedeutet:  Die Bürger können sehr Wohl Rechte haben, die dem Staat und seinen Organen nicht zustehen. Dazu kann auch die Freiheit gehören, durch gemeinsames zahlreiches Versammeln auf Straßen und Plätzen eine andere Versammlung in ihrer Wirkmöglichkeit zu begrenzen, die der Staat selbst nicht verbieten darf. Dass der Staat sie nicht verbieten darf, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Bürger sie widerspruchslos hinnehmen müssen. Die an verschiedenen Stellen immer wieder zu hörende Argumentationsfigur, weil der Staat es erlaubt hat, dürfen Bürger nichts dagegen unternehmen, wäre ein Obrigkeitsdenken, welches dem Geist unseres Grundgesetzes fremd ist. Das Gegenteil ist der Fall: Der Staat ist in dieser Situation subsidiär auf das engagierte Handeln der Bürger geradezu angewiesen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer ganzen Reihe von Entscheidungen immer wieder das Recht und die Pflicht der Bürger betont, aktiv – und das bedeutet eben auch mit den Füßen – an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Diese politische Willensbildung kann ein freiheitlicher Staat nicht stellvertretend für die Bürger vornehmen. Wie erst im März 2011 vom Bundesverfassungsgericht formuliert wurde, gehören zu den möglichen Aktionsformen im Rahmen der Versammlungsfreiheit auch friedliche Sitzblockaden.

B) CONTRA: Blockaden missachten demokratische Grundrechte

1. Blockaden sind nicht nötig.
Von rechtsextremen Demonstrationen geht keine unmittelbare Gefahr aus. Direkt während des Aufzuges verhalten sich die Teilnehmer in der Regel friedlich und liefern sich keine Auseinandersetzung mit der Polizei.
Deutliche symbolische Aktionen, die zeigen, dass eine Mehrheit der Bürger gegen Neonazis auf die Straße geht, setzen ein ausreichendes Gegengewicht.

2. Blockaden beschneiden demokratische Grundrechte
Die Versammlungsfreiheit gilt grundsätzlich für alle. Wenn durch Blockaden einer Minderheit dieses Recht genommen wird, ist dies eine Einschränkung der Demokratie. Man kann die Demokratie nicht damit verteidigen, dass man sie aushöhlt.
„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ (Rosa Luxemburg)

3. Demokratie braucht Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols
Es ist Aufgabe des Staates, dem Recht zur Stärke und nicht dem Starken zum Recht zu verhelfen. Bei Massenblockaden beschneidet eine starke Masse die Rechte einer Minderheit.
Der Staat muss in diesem Fall – ungeachtet der jeweils vertretenen Inhalte – für die Geltung seines Rechtes eintreten.
Demokratie ist kein absolut stabiler Zustand. Die Gefahr eines Abgleitens in Diktatur auf der einen Seite und Chaos auf der anderen Seite besteht ständig. Die Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols gehört zu den Grundpfeilern einer Zivilisation. Sie ist aber viel leichter zu zerstören, als wieder aufzubauen.

C) FAZIT: Eine Entscheidung des Gewissens

Noch unabhängig von der Beurteilung der Rechtslage (Ordnungswidrigkeit oder Straftat) im Zusammenhang mit Sitzblockaden wird deutlich: Es gibt gewichtige Argumente auf beiden Seiten und daher keine eindeutig zwingende Richtung. Die Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme an einer Blockade bleibt eine individuelle Gewissensentscheidung. Selbst wenn man die Aufmärsche für nicht so harmlos hält, wie unter B skizziert, bleibt die gezielte Beschneidung von Grundrechten ein Einschnitt, welcher nicht problemlos zu rechtfertigen ist.
Eine ernsthafte Gewissensentscheidung ist daran zu erkennen, dass sie bereit ist, für ihre Befolgung auch individuelle Nachteile in Kauf zu nehmen. Wer eine rote Ampel überfährt, um ein ertrinkendes Kind zu retten, hat aus ethischer Verantwortung Regeln gebrochen. Das Strafgeld für den Blitzer müsste trotzdem bezahlt werden, auch wenn die Person später dafür das Bundesverdienstkreuz bekäme. Ob dieser Vergleich hier passt, wird unterschiedlich beurteilt.
Wer ethisch verantwortlich handeln will, kann sich nicht auf starre Regeln zurückziehen, sondern muss in konkreten Situationen Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen, und dann seine Entscheidung fällen.

D) Die Stimme(n) der Kirchen: legitime Vielfalt

Weil die Materie vielschichtig ist und die individuelle Gewichtung der Faktoren verschieden ausfällt, gibt es auch nicht nur eine kirchliche Meinung dazu. Es sind aufrechte Demokraten und engagierte Christen sowohl unter den Befürwortern wie unter den Gegnern von Blockaden. Die gelegentlich geäußerte Erwartung, die Kirchen könnten hier mit einer Stimme sprechen, lässt sich in dieser Hinsicht nicht erfüllen. In Bezug auf die entschiedene Ablehnung des Rechtsextremismus und die Aufforderung zum Engagement sprechen die Kirchen durchaus mit einer Stimme. Im Blick auf die Aktionsformen beim Umgang mit Demonstrationen gibt es aber eine legitime Vielfalt, die auch Ausdruck christlicher Freiheit ist. Wer sich in der Verantwortung des Gewissens zur Teilnahme an friedlichen Sitzblockaden entscheidet, genießt auch den Respekt des sächsischen Landesbischofs. Dies gilt, obwohl Landesbischof Bohl und die Dresdner Kirchen selbst nicht zu Blockaden, sondern zur Menschenkette, zu Mahnwachen, Friedensgebeten, Bittgängen und friedlichen Protesten in Hör- und Sichtweite aufrufen. Wer bei diesen Veranstaltungen oder sonstigen Anlässen mit seiner Person gegen die neonationalsozialistische Geschichtsvergessenheit einsteht, leistet ebenso seinen Beitrag, der nicht gering geschätzt werden sollte. Es ist wichtig, dass jeder nach seinen Möglichkeiten und – was mindestens ebenso nötig ist – in seinem privaten Umfeld für Freiheit, Demokratie und gelebte Mitmenschlichkeit aktiv wird.

Harald Lamprecht

Mehr dazu:

https://www.confessio.de/artikel/244

http://www.bagkr.de/aktuell/aufruf-zur-beteiligung-an-blockaden-gegen-neonaziaufmarsche-in-dresden/

http://www.epd.de/print/85235

Das Bundesverfassungsgericht

im März 2011 zur Versammlungsfreiheit:

Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>).
Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 87, 399 <406>).
Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).

Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG grundsätzlich bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist danach eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <106>). Der Schutz des Art. 8 GG besteht zudem unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>; BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 <250>).
(Quelle: 1 BvR 388/05 , Abs. 32 und 33, Entscheidung vom 7. März 2011)

 

Diskussion

Wenn Sie meinen, dass wichtige Argumente hier noch fehlen, können Sie uns Ihren Beitrag gern per eMail an info(at)kirche-fuer-demokratie.de senden, damit er dieser Diskussion angefügt werden kann. Es handelt sich um eine moderierte Diskussion. Weil es interessant bleiben soll, wollen wir nur Argumente aufnehmen, die noch nicht genannt wurden.

Beiträge:

zu 1. Nein, Neonazi-Demonstrationen sind sind nicht friedlich. Erstens nicht, was „anerkannte“ Gewalt betrifft. Im Nachgang an Demonstrationen kommt es zu Übergriffen, das haben auch die letzten Jahre der Dresden Ereignisse drastisch gezeigt. Und dann ist da noch eine andere Form von Gewalt. Neonazis haben in letzten 20 Jahren ca. 180 Menschen getötet, unzählige verletzt und auf Dauer geschädigt (physisch und psychsisch). Für nicht Mehrheitsdeutsche (Migrant_innen, Alterntaive usw.) stellt es eine Form von Gewalt dar, wenn 6000 oder 8000 Neonazis geschützt und unbehindert durch die Stadt laufen….und für viele Demokrat_innen auch.

zu 2. Das Versammlungsrecht wird durch Sitzblockaden kaum eingeschränkt. Auch Sitzblockaden gehörden zum Schutzraum des Art. 8 GG.
Siehe dazu auch hier: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/nazi-demo-sitzblockade-grundsaetzlich-zulaessig-id3586851.html.
Die Polizei ist verfassungsrechtlich verpflichtet, eine Blockade, mit der eine politische Meinung zum Ausdruck gebracht werden soll, als Versammlung zu bewerten, die unter dem Schutz des Artikels 8 steht. Da unter diesem Schutz auch die Nazidemo steht, muss die Polizei so agieren, dass sie die Grundrechte beider Seiten so weit wie möglich wahrt. Hier kommt zum Beispiel eine Umleitung der Nazidemo um die Blockade in Betracht. Sind keine milderen Mittel denkbar, käme auch eine Auflösung der Versammlungsblockade in Frage. Das geht wiederum nur, wenn nicht 20.000 Demokraten 2000 Neonazis gegenüberstehen….

zu 3. Wenn das staatliche Gewaltmonopol versagt (seit 20 Jahren keine Eindämmung des Problems, 180 Tote, Behörden als Spielball der NSU und so weiter…) lebt eine Demokratie um so mehr von Demokrat_innen. Grundgesetz Art 20. Abs. 4: (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Im Übrigen ist das Gewähren von Kirchenasyl streng genommen ein Einfriff ins staatliche Gewaltmonopol und in den Rechtsstaat und so weiter…und gut heißen würde ich es jedesmal wieder….

Also für mich existieren kaum Argumente gegen das Blockieren von Nazidemonstrationen 😉

Susanne Feustel

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Ich will unsere Grundrechte schützen. Ich bekomme aber große Bauchschmerzen, wenn man die Grundrechte schützen will, indem man rechtswidrigerweise die Grundrechte den anderen abspricht. Eine Demoblockade stellt die Vereitelung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit dar! Wie kann man die Grundrechte schützen, indem man sie gleichzeitig mit Füßen tritt? Die Motivation ist verständlich, aber der Weg ist m.E. der Falsche, da er in sich inkonsequent ist.

Das Grundgesetz ist in sich ein geschlossenes und auf sich abgestimmtes System. Das Grundgesetz sieht nur dann die Möglichkeit für Bürgerinnen und Bürger vor, gegen Gesetze legal zu verstoßen, wenn das Grundgesetz und die freiheitlich demokratische Grundordnung unmittelbar vor der Abschaffung steht. Dann könnten sich Bürger auch gewaltsam dagegen wehren. Dieser Grundsatz stellt aber die „ultima ratio“ dar. Dies ist bei den Demos in Dresden jedoch nicht der Fall.

Das Grundgesetz sieht bewusst nicht die Möglichkeit vor, dass Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wer demonstrieren darf und wer nicht. Das Grundrecht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist immer auch Ausdruck von Minderheitenschutz! Die Verwaltung hat daher auch nur in ganz extremen Ausnahmefällen die Möglichkeit, solche Demos zu verbieten! Das ist auch gut so, auch wenn es aus unserer Sicht nicht schön ist.

Ein Widerstandsrecht der Bürger besteht nur insoweit, dass die Bürger selbst in Hör- und Sichtweite gegen die Nazidemo demonstrieren dürfen. Ein „Störrecht“ oder ein „Vereitelungsrecht“ besteht gerade nicht. Deshalb hat sich auch der Bundesgesetzgeber entschlossen, den Straftatbestand des §21 VersG zu schaffen. Danach stellt eine beabsichtigte grobe Störung einer rechtmäßigen Demo eine Straftat dar! Eine grobe Störung wäre nur dann zulässig, wenn durch die Nazi-Demo unmittelbar das Grundgesetz abgeschafft werden würde. Das ist jedoch unstreitig nicht der Fall!

§ 21 VersG: „Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Mir konnte bisher noch kein Jurist erklären, warum eine absichtliche Blockade einer rechtmäßigen Demo nicht strafbar sein sollte. Ich habe nach Urteilen und jur. Aufsätzen gesucht, jedoch habe ich keine vertretbare Meinung dazu gefunden. Ich bezweifle, dass eine solche Meinung im Hinblick auf § 21 VersG überhaupt juristisch vertretbar ist.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich jeder Teilnehmer an einer solchen Blockadeaktion strafbar macht. Ob diese Straftat dann verfolgt wird, ist eine andere Frage. Jedoch muss man mit Ermittlungen und jeder Menge Ärger rechnen. Wer sein Gewissen dennoch über die Rechtsordnung stellt, muss dann konsequenterweise auch die Konsequenzen tragen.

Nochmals: Ich unterstütze den offiziellen Aufruf unserer Landeskirche, im Rahmen der Gesetze unser Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrzunehmen und den Nazis in rechtstaatlicher Weise entgegenzutreten und dabei das Grundgesetz zu achten.

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solche unschöne Nazidemo eine freiheitlich demokratische Gesellschaft aushalten muss.

Dr. jur. Martin Berger,
Jugendvertreter in der sächsischen Landessynode; KV-Mitglied

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Es gibt unterschiedliche juristische Bewertungen ob und wann eine Blockade eine Straftat oder ebenfalls eine zu schützende Veranstaltung ist. Wenn die Nazis marschieren, kann ich nicht so lange warten, bis alle wenn und aber geklärt sind.

Ich stelle mich nicht gegen das Grundgesetz, sondern ich stehe dort wo das Grundgesetz an seine Grenze kommt. Ich tue dies, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf meine Weise zu schützen. Ich stehe da und sage: hier ist kein Platz für menschenfeindliche, antisemitische und rechtsextreme Einstellungen, kein Platz für Fremdenhass, kein Platz für Gewalt, kein Platz für das Vergessen der Schuld, die Deutschland über die Welt gebracht hat.

Ich handle hier als Christ und weiß, dass ich schuldig werden kann. Dietrich Bonhoeffer sprach von verantwortlicher Schuldübernahme.  Er war es auch der sagte, dass Kirche nicht nur die Opfer unter dem Rad verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen fallen muss, wenn sie den Staat ein Zuviel oder zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht. Das habe ich für mich so entschieden. Ich kann nicht anders.

Ich denke, es müssen nicht alle Menschen blockieren, aber wem es wichtig ist, der soll es friedlich tun können. Ich bin dankbar für die Menschen, die andere friedliche Formen von Gegendemonstrationen nutzen.

Karla Groschwitz
sächsische Synodale der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

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Ich denke, die Lektüre des – zugegebener Maßen schwierigen – Berichtes der Untersuchungskommission 13. Februar des Komitees für Grundrechte und Demokratie könnte die Rechtsgeschichte zum Thema Sitzblockade als Grundrecht verdeutlichen. Ich kann daraus leider auf die Schnelle keinen kürzeren Text machen, denn natürlich hat der Bericht Längen und nicht alle Kapitel passen direkt in die Diskussion. Aber insgesamt finde ich, dass dort die Position derer, die pro Blockade argumentieren auch aus verfassungsrechtlicher und somit bürgerrechtlicher Perspektive deutlich werden. Und diese Rechtsperspektive ist, wie Harald Lamprecht ja auch in seinem Pro-Contra-Papier schreibt, eine andere, als die formaljuristische Rechtsperspektive der contra-Seite.

Bürgerrechte und insbesondere das bundesdeutsche Grundgesetz sind eben aus der Perspektive von BürgerrechtlerInnen nicht festgeschriebene, einfach nur anzuwendende Paragraphen, sondern sie entwickeln sich, in der Aneignung durch die Menschen/Bürger und die Entwicklung der Rechtsprechung. Unser Grundgesetz ist nicht einfach nur die Freiheitlich Demokratische Grundordnung, als feststehender Kern, deren Erhaltung und Bewahrung Sinn und Zweck unseres Schaffens ist, sondern es entwickelt sich in den gesellschaftlichen Debatten und Wandelungen der Zeit.

In unserem Diskussionszusammenhang hat das Bunderverfassungsgericht von seinem ersten Grundsatzurteil in Sachen Sitzblockade im Jahr 1985 bis zum vorerst letzten Grundsatzurteil vom 07. 03. 2011 eine Entwicklung genommen, die heute im aktuellen Lichte der Entscheidungen friedliche Sitzblockaden als Spontankundgebungen in den Rahmen der Versammlungsfreiheit stellt. Ich denke, diese Entwicklung wird im Bericht des Grundwertekomitees nachvollziehbar deutlich.

freundliche Grüße, Friedemann Bringt

Bericht der Untersuchungskommission des Grundrechtskomitees zum 19. 2. 2011

Pressemeldung zu dem Bericht mit Zusammenfassung

 

Ziviler Ungehorsam: Wachen über die Legitimität des Rechts.

Zur Auseinandersetzung mit Neonazi-Aufmärschen in Dresden und anderswo  

Unter dem Motto „‘Nächstenliebe verlangt Klarheit‘ – Kein Naziaufmarsch, nirgendwo“hat die 2010 in Dresden gegründete „Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus“ (BAGKR) Christen dazu aufgerufen, die geplanten Aufmärsche von Neonazis am 13. und 18. Februar 2012 anlässlich der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 friedlich und gewaltfrei zu blockieren. Auch das Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ und andere zivilgesellschaftliche Kräfte rufen zu Aktionen des Zivilen Ungehorsams gegen die Naziaufmärsche in Dresden auf. Gleichzeitig besteht in weiten Teilen der Gesellschaft eine große Unsicherheit, ja Unkenntnis darüber, was Ziviler Ungehorsam ist und welche Bedeutung ihm für die Weiterentwicklung des demokratischen Verfassungsstaates zukommt.

 

Ziviler Ungehorsam ist Ausdruck einer bürgerschaftlichen Wachsamkeit in der Demokratie, die danach fragt, ob das positive Recht und die Art seiner Anwendung den verfassungsmäßigen Standards von Menschenwürde, Demokratie, Menschenrechten und  Gerechtigkeit auch tatsächlich entspricht. Ziviler Ungehorsam signalisiert, dass es eine nicht aufhebbare Spannung zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit, zwischen „rechtlich zulässig“ und „richtig“, zwischen Gesetz und Gewissen gibt, die auch eine noch so perfekte Verfassung und gute Gesetze nicht auflösen können. Ziviler Ungehorsam legt den Finger auf die Wunde gesellschaftlicher Defizite, Fehlentwicklungen und Skandale, die mit dem bloßen Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip und die Einhaltung bestehender Gesetze weder ‚erledigt‘ noch geheilt sind. Im Kern geht es um die Frage: Ist rechtsstaatliche Legalität ( = das geltende Recht) ausreichend durch ethische Legitimitätgedeckt? Wie kann die Spannung zwischen Legalität und Legitimität in einer konkreten Konfliktsituation aufgelöst werden zugunsten von mehr Legitimität innerhalb fortschreitender Legalität?

 

Ein im Rahmen der geltenden Gesetzeslage und –anwendung nicht lösbarer Konflikt entsteht durch die skandalöse Praxis, dass Aufmärsche von Neonazis, die die demokratische Ordnung in Deutschland abschaffen wollen, rechtlichen und polizeilichen Schutz genießen, während die Gegner solcher Aufmärsche als außerhalb von Recht und Gesetz stehend diffamiert und drangsaliert werden, wenn sie mit Aktionen Zivilen Ungehorsams auf diese Aufmärsche antworten. Der Staat und seine Institutionen tun gut daran, die Vertreter des Zivilen Ungehorsams in diesem Konflikt nicht pauschal als „Rechtsverletzter“ zu kriminalisieren. Denn wer Zivilen Ungehorsam propagiert, will zunächst Alarm schlagen und auf einen unerträglichen Zustand aufmerksam machen. Er/sie will innerhalb der bestehenden Rechtsordnung ein besseres gegenüber dem schlechteren Recht, die Perspektive des ethisch Gebotenen gegenüber dem gesetzlich Geregelten, die Annäherung von geltendem Recht und Rechtsempfinden zur Geltung bringen, damit dieser unhaltbare Zustand geändert wird.  Er/sie nimmt in Kauf, dass das als Verstoß gegen geltendes Recht vom Staat geahndet wird. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus mobilisiert gegen diesen unhaltbaren Zustand. Sie nimmt für ihre Position in Anspruch, dass gewaltfreie Blockaden gegen Neonazi-Aufmärsche auf einer Gewissensentscheidung basieren und vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind.

 

Manche öffentliche Aufgeregtheit über Blockaden von Neonazi-Aufmärschen als Mittel Zivilen Ungehorsams wird inzwischen von der allgemeinen Fassungslosigkeit über das staatliche Versagen gegenüber dem gewaltbereiten Rechtsextremismus überlagert. Das Blinde-Kuh-Spiel von Verfassungsschutz-Organen gegenüber Rechts hat die beispiellose, neunfache Mord-Serie der Zwickauer Neonazi-Zelle zwischen 1998 und 2007 ermöglicht, mutmaßlich verschleiert und jedenfalls nicht verhindert. Angesichts dieses systemischen Versagens wäre es angebracht, wenn sich staatliche Behörden generell etwas mehr Zurückhaltung gegenüber Aktionen und Protagonisten Zivilen Ungehorsams gegen Neonazi-Aufmärsche auferlegen würden. Sie können Blockierer gegen Rechts schlechterdings nicht mit strengeren Maßstäben messen wollen als ihre eigenen professionellen Verfassungsschützer, die Recht und Gesetz bei der Verfolgung von rechtsextremistischen Gewalttaten so offenkundig fahrlässig missachtet haben.

 

Schließlich kann ein Blick in die jüngste deutsche Geschichte dazu beitragen, die Regeln der Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen zu verlieren.  Ziviler Widerstand war ein kritischer Wegbereiter im Prozess der Entwicklung des modernen demokratischen Verfassungsstaates. Die Normen und Standards, nach denen Staat und Gesellschaft nach 1949 organisiert worden sind, verdanken sich in hohem Maß den Überzeugungen, die Männer und Frauen zwischen 1933 und 1945 im Widerstand gegen die NS-Diktatur vertreten und verteidigt haben. Sie haben dafür mit ihrem Leben bezahlt. Die normative Bedeutung des Widerstandes gegen die NS-Diktatur für den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland muss sich gerade heute in der Auseinandersetzung mit aggressiven Neonazis  bewähren. Wie würden Hans von Dohnanyi, Adam von  Trott zu Solz oder Dietrich Bonhoeffer reagieren, müssten sie in Dresden oder einer beliebigen deutschen Stadt erleben, dass die Aufmärsche von Neonazis mit ihren menschenverachtenden, geschichtsverfälschenden und demokratiefeindlichen Parolen rechtsstaatlichen Schutz genießen, während gleichzeitig die Protagonisten des zivilen Ungehorsams gegen die Neonazis von Polizei und Behörden „Recht und Gesetz“ zu spüren bekommen?

Joachim Garstecki, Dipl.-Theol.

1971 bis 1990 Studienreferent für Friedensfragen beim DDR-Kirchenbund
1991 bis 2000 Pax-Christi-Generalsekretär/dt. Sektion
2001 bis 2007 Studienleiter der Stiftung Adam von Trott, Imshausen,
lebt in Magdeburg.

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Ich bin entschlossen an friedlichen Blockaden gegen Naziaufmärsche teilzunehmen. Ich versuche zu begründen, warum.

1. Ich bin als Kind und Jugendliche mit Büchern über den 20. Juli 1944, die „Weiße Rose“, Bonhoeffer und anderen Widerstand gegen den Nationalsozialismus groß geworden. Meine Mutter hat erzählt, wie sie als kleines Mädchen entsetzt war über die Straßenkämpfe, die sich Kommunisten und Nazis in den Endzwanziger Jahren in Pirnas Straßen geliefert haben. Ich denke heute, dass mich meine Eltern mit der Historie des Widerstands vertraut gemacht haben, war eine Art Wiedergutmachung für sie. Über eigenes Versagen wurde wenig oder gar nicht gesprochen. Wenn ich mir auch beim Lesen der Bücher manchmal die Frage gestellt habe, warum die Großeltern keinen Mut hatten, gefragt habe ich nicht danach, wohl aus dem Gespür heraus, dass ich sie bloß stellen könnte. Leider kann ich meine Eltern heute nicht mehr fragen. (In der DDR hatten meine Eltern dann Mut und wären wohl auch heute aktiv.)

2. Ich will sehr hoffen, dass unsere jetzige demokratische Gesellschaft stärker ist als die Weimarer Republik. Jedoch beunruhigen mich in vielen Mitmenschen latent vorhandene politische Einstellungen, die gestärkt werden durch jeden Naziaufmarsch und irgendwann dazu führen könnten, dass die rechtsextremen Parteien weitere Stimmenzuwächse bekommen. Ich teile Meinungen überhaupt nicht, die das Problem verharmlosen wollen.

3. Ich möchte ggf. die Fragen meiner Enkel beantworten können.

4. Ich kenne junge Leute, die friedlich aktiv gegen Nazis auftreten. Die möchte ich nicht allein lassen. Ich bin überzeugt, dass wir Älteren auch zur Deeskalation beitragen können , sollte das nötig sein (Sofern wir nicht selbst eher zu Spontanität und zu „jetzt reicht es mir aber“-Aktionen neigen. – Ich weiß von meinem Sohn, dass junge Leute auch eher von der Polizei provoziert werden, auch wenn sie sich friedlich verhalten.)

5. Ich selbst wurde schon mehrfach von der Polizei gehindert, friedlichen Protest zum Ausdruck zu bringen und frage mich schon, ob es 2012 zu dem Konsens „Kundgebung in Hör- und Sichtweite“ gekommen wäre, wenn  nicht 2010 und 2011 so viele durch Blockaden ihrem Willen Ausdruck verliehen hätten.

Zu einem Sachverhalt kann es mehrere juristische und ethische Auffassungen geben.
Ich entscheide nach meinem Gewissen und hoffe sehr, dass sich für jede Form des Widerstands  genügend Teilnehmende finden!

Übrigens: der Widerstand darf nicht auf wenige Tage beschränkt bleiben sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich: Unterhaltungen zum Thema darf nicht ausgewichen werden, nicht in der Geburtstagsrunde, nicht im Kirchenvorstand, nicht beim Skat, Gelder für Bildung und soziale Arbeit dürfen nicht gekürzt werden, die Medien müssen ihrer aufklärenden Verantwortung gerecht werden, links(extreme) und rechts(extreme) Aktivitäten/Gewalt müssen jede für sich analysiert werden und nicht immerzu reflexartig zusammen gedacht werden…

Konsense zu wichtigen nationalen und globalen politischen/gesellschaftlichen Themen müssen jenseits von Parteiprofilierungen gefunden werden, damit noch lange die göttliche Zusage „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (Gen 8, 22) Bestand hat. Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gehören immer zusammen!

Astrid Bodenstein, Dresden
a.e.bodenstein (at) t-online.de

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